Bilder: Klaus Decker (02/2008)

John Stuart Mill

            

Englischer Philosoph und Nationalökonom; Sohn von James Mill (*1773, †1836), der ihm eine umfassende Ausbildung angedeihen ließ; so erlernte Mill bereits im Alter von drei Jahre Altgriechisch und schloß schon als 17-Jähriger Kurse in griechischer Literatur und Philosophie, Psychologie und Recht ab, sowie Unterweisungen in naturwissenschaftlichen Fächern; die Botanik wird er bis zu seinem Lebensende als Hobby betreiben. Auf einer Reise nach Frankreich traf er mit Vertretern des französischen Liberalismus zusammen und begeisterte sich für die Ziele der Französischen Revolution. Wieder in England, kam er 1821 erstmals in Kontakt mit den Schriften des Philosophen Jeremy Bentham, wurde Anhänger dessen Utilitarismus und gründete mit Freunden die “Utilitaristische Gesellschaft“, in der ethische und gesellschaftspolitische Fragen diskutiert wurden, und drei Jahre später gründete er die “London Debating Society”, in der er sich für die Einführung einer reinen Demokratie stark machte und die “schädlichen Einflüsse der Aristokratie“ beklagte. Er setzte vielmehr auf eine freie Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit (“innere Kultur des Individuums“), lehnte dabei aber autoritäre staatliche Elemente nicht ab, da er es für nowendig hielt. daß der Staat über die Rechte der Bürger zu wachen und sie von eventuellen Fehleinschätzungen zu bewahren habe. Allerdings bekämpfte er sowohl einen radikalen wirtschaftlichen Liberalismus als auch einen Sozialismus, der dem Individuum die Selbstverantwortung nähme. Er entwarf ein Mehrklassenwahlrecht, schloß darin aber die unteren, ungebildeten Stände ausdrücklich aus, da sie in ihrer Masse einen unguten Einfluß ausüben könnten. Ab 1823 war er für die Ostindische Kompanie tätig und lernte nach seiner Rückkehr 1830 die verheiratete Harriet Taylor (*1807, †1858) kennen, die er 1851 nach dem Tode ihres Mannes heiratete. Gemeinsam mit ihr verfaßte Mill das nationalökonomische Standardwerk Principles of Political Economy (1848, dt. Grundsätze der politischen Oekonomie). In ihm analysierten die Beiden die Frauenarbeit und untersuchten die Gründe für die geringere Entlohnung von Frauen. Mill, der von 1865 bis zur seiner Abwahl im Jahre 1868 für die Whigs, die Liberaler, Mitglied des Unterhauses war, setzte sich auch dort engagiert für seine Ideen ein, so für ein erweitertes Wahlrecht und Sozialreformen, und im Juli 1866 errang er mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen einen großer Erfolg. Mit seinen Werken hatte Mill einen bedeutenden Einfluß auf das Denken im britischen Empire des 19. Jahrhundert, nicht nur in der Philosophie und Volkswirtschaft, sondern auch im Bereich der Politologie, der Logik und der Ethik. Viele seiner Ideen sind inzwischen Gemeingut der zivilisierten Welt.

Werke u.a.: On the Subjection of Women (1869, dt. Hörigkeit der Frau), Three Essays on Religion (1874) sowie eine Autobiography (1873).

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Avignon, Cimetière de Saint-Véran

Bild: Igor Skokan (08/2007)

Jan Patočka

 

 

Tschechischer Philosoph; studierte ab 1925 an der Prager Karls-Universität Romanistik, Slawistik und Philosophie, ging 1928 an die Pariser Sorbonne, wo er den Philosophen Edmund Husserl kennenlernte. Er lehrte dann seit 1932 Philosophie, setzte jedoch im selben Jahr zunächst an die Humboldt-Universität in Berlin seine Studien fort und studierte anschließend Phänomenologie in Freiburg. Während der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei sowie in der Zeit des kommunistischen Regimes war ihm jegliche Tätigkeit an der Universität untersagt, so daß er gezwungen war, am Masaryk-Institut als Übersetzer zu arbeiten. In den 1960er Jahren hielt er Vorträge als Gastdozent in Deutschland und Frankreich, bis man ihn 1968 während des sog. Prager Frühlings an der Karls-Universität als Professor zurückrief. Nach dem Ende dieser unter Dubcek entstandenen politischen “Tauwetterperiode” wurde er 1972 zwangsemeritiert. 1977 war Patocka neben dem Schriftsteller Václav Havel und dem ehemaliger Außenminister der Tschechoslowakei Jiri Hájek eines der führenden Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe Charta 77, die am 1.1.1977 ins Leben gerufen worden war.

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Prag, Brevnov-Friedhof

Theodor Lessing

Bild: Nicola Perscheid zw. 1925 und 1930) 

 

Deutscher Philosoph und Publizist; der Sohn eines Arztes stammte aus einer assimilierten, liberalen jüdischen Familie. In seiner Heimatstadt vom Gymnasium relegiert, legte er sein Abitur 1892 in Hameln ab und studierte Medizin in Freiburg im Breisgau, Bonn und München, wo er sich mehr der Philosophie zuwandte. Die geplante Habilitation an der Universität Dresden scheiterte am Widerstand, der ihm als Juden, Sozialisten und dazu öffentlichen Verfechter des Feminismus dort entgegengebracht wurde. Die Unterbrechung der weiteren akademischen Ausbildung zwang Lessing zunächst, seinen Lebensunterhalt als Aushilfslehrer und Vortragsredner zu verdienen. Außerdem veröffentlichte er in dieser Zeit viele seiner philosophischen Aufsätze nicht nur in Fachblättern, sondern auch in Zeitschriften, so u.a. im renommierten Prager Tagblatt und dem Dortmunder Generalanzeiger. Seit 1907 lehrte er dann an der TU seiner Heimatstadt Hannover als Privatdozent. Während des Ersten Weltkrieges wirkte er als Arzt in einem Lazarett und als Lehrer. Von 1922 bis 1925 war er erneut als Professor in Hannover tätig. Da er sich den Haß der NSDAP zuzog - er hatte sich u.a. gegen die Kandidatur des Feldmarschalls Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten ausgesprochen, trat vehement für den Pazifismus ein und übte Kritik an dem aufkommenden Nationalsozialismus - wurde er als Vertreter einer antirationalistischen Kultur- und Gesellschaftskritik und einer skeptischen Geschichtsdeutung 1926 auf Druck rechter Studenten, dem die Universitätsleitung nachgab, aus seinem Amt vertrieben. Allgemeine Aufmerksamkeit und Kritik aus deutschnationalen und völkischen Kreisen hatte zuvor (1925) sein Bericht über den Prozeß gegen den Hannoveraner Serienmörder Fritz Haarmann, der Polizeispitzel war, erregt. Nach der “Machtergreifung” der Nationalsozialisten floh er mit seiner Frau im März 1933 in die damalige Tschechoslowakei, wo er sich in Marienbad niederließ. Dort wurde er am 30.8.1933 von nationalsozialistische Attentätern durch das Fenster seines Arbeitszimmers durch einen Schuß lebensgefährlich verwundet und erlag am folgenden Tag seinen Verletzungen.

Werke u.a.: Philosophie als Tat (1914), Europa und Asien (1918), Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen (1919), Die verfluchte Kultur (1921), Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen oder die Geburt der Geschichte aus dem Mythos (1924), Der jüdische Selbsthaß (1930).

Inschrift in deutscher und tschechischer Sprache: Prof. Dr. Theodor Lessing, ermordet in Marienbad am 30.8.1933. Das erste Opfer des Faschismus in der CSR.

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Marienbad, Jüdischer Friedhof

Bilder: Thomas Haas (08/2008)

Henri Bergson

 

Französischer Philosoph; Sohn eines aus Polen stammenden jüdischen Vaters; studierte in Paris an der École Normale Supérieure (ENS), an der er später Professor sein wird, bevor er ab 1900 am Collège de France in Paris lehrte. Seine Dissertation, die er 1889 unter dem Titel Essai sur les données immédiates de la conscience (dt. Zeit und Freiheit) an der Sorbonne einreichte, erregte, als sie veröffentlicht wurde, in der philosophischen Welt großes Aufsehen. 1914 wurde er zum Mitglied der Académie française gewählt. Bergson war einer der Hauptvertreter der Lebensphilosophie und Vorläufer des Existenzialismus und wandte sich gegen die materialistisch-mechanistische Welt- und Wissenschaftsauffassung und kritisierte die evolutionären Theorien Charles Darwins und Herbert Spencers. Sein Einfluß auf die europäische Philosophie erstreckt sich über die Lebensphilosophie, die in Deutschland besonders bei Georg Simmel (*1858, †1918) vertreten wurde, hinaus v.a. auf die Existenzphilosophie sowie auch auf die Literatur, u.a. bei Marcel Proust. Besonders seine Wissenschaftskritik und Intuitionslehre (Bergsonismus) wurden u.a. von Maurice Blondel (*1861, †1949), Édouard Le Roy (*1870, †1954), René Le Senne und Louis Lavelle (*1883, †1951) aufgegriffen.

Werke u.a.: Matière et mémoire. Essai sur la relation du corps à l'esprit (1896, dt. Materie und Gedächtnis), Le rire. Essai sur la signification du comique (1900, dt. Das Lachen), Introduction à la métaphysique (1903, dt. Einführung in die Metaphysik), L'évolution créatrice (1907, dt. Schöpferische Entwicklung), L'énergie spirituelle (1919, dt. Die seelische Energie), Les deux sources de la morale et de la religion (1932, dt. Die beiden Quellen der Moral und der Religion), La pensée et le mouvant (1934, dt. Denken und schöpferisches Werden).

Auszeichnungen u.a.: Nobelpreis für Literatur (1928).

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Garches (Dép. Hauts-de-Seine), Cimetière de Ville

Bilder: (c) Pim de Bie - Holland (07/2008)

Hinweis: In dem Grab ist auch Mills Frau Harriet beigesetzt.

Paul Michel Foucault

 

Französischer Philosoph; Sohn eines Chirurgen und Universitätsprofessors der Anatomie; nach dem Studium der Philosophie und Psychologie an der Pariser École Normale Supérieure in Paris erfolgten Auslandsaufenthalte in Uppsala, Warschau und Hamburg, dort 1959/60 als Leiter des Institut Français. 1954 veröffentlichte er seine erste größere Publikation: Maladie mentale et psychologie (dt. Psychologie und Geisteskrankheit). Von 1960 bis 1968 war Foucault, dessen Denken nachhaltig von  Friedrich Nietzsche und Martin Heidegger geprägt wurde, Professor für Philosophie in Clermont-Ferrand, von 1968 bis 1970 an der Universität Paris-VIII in Vincennes und ab 1970 Inhaber des Lehrstuhls für die Geschichte der Denksysteme am Collège de France. Dort setzte er sich, ausgehend von Nietzsches Theorie eines Willens zur Macht, mit der Beziehung zwischen Macht und Wissen auseinander und erkannte, daß eine direkte Relation zwischen Macht und Wissen besteht. In vielen seiner späten Arbeiten versuchte Foucault aufzuzeigen, daß traditionelle Denkmodelle nicht mehr geeignet sind, die heutigen Strukturen der Macht und die Kontrollsysteme in der modernen abendländischen Gesellschaft zu erklären.

Werke u.a.: Folie et déraison ... (1961, dt. Wahnsinn und Gesellschaft...), Les mots et les choses (1966, dt. Die Ordnung der Dinge), Surveiller et punir (1975, dt. Überwachen und Strafen), Histoire de la sexualité (3 Bde., 1977-86, dt. Sexualität und Wahrheit),

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Bilder: Bernd Wolter (08/2008)

Vendeuvre-du-Poitou, Cimetière comunal

José Ortega y Gasset

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Spanischer Kulturphilosoph, Soziologe und Essayist; entstammte einer Familie von Journalisten; besuchte eine Jesuitenschule und studierte ab 1904 in Deutschland, u.a. in Marburg bei dem Neukantianer Hermann Cohen; ab 1910 war er Professor auf dem Lehrstuhl für Metaphysik in Madrid. 1923 gründete er die literarisch-kulturelle Zeitschrift Revista de Occidente. Von 1931 bis 1933 war er Mitglied des spanischen Parlaments, des Cortes, das die republikanische Verfassung einführte. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges in seiner Heimat im Jahre 1936 lebte er bis 1946 in der Emigration, u.a. in Frankreich und Argentinien, während des Zweiten Weltkriegs u.a. in Portugal und Deutschland.

Ortegas y Gassets Werke übten einen starken Einfluß auf die spanische Kultur und deren Wiederbelebung des Geistesleben in Spanien aus. Und schließlich bereiteten sie den Untergang der Monachie vor. Sein bekanntestes Werke ist seine Schrift La rebelión de las masas (Der Aufstand der Massen), das er 1929 unter dem Eindruck der Ereignisse in der Weimarer Republik verfaßte. In ihr beschrieb er die Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik, wenn ein Staat nicht von einer intellektuellen, ethische Werte vertretenden Minderheit, sondern von einer mittelmäßigen, nicht werteorientierten Masse geführt würde. Er war der Überzeugung, daß eine solche Entwicklung den Totalitarismus fördere.

Werke u.a.: El tema de nuestro tiempo (1923, dt. Die Aufgaben unserer Zeit), España invertebrada (1921, dt. Stern und Unstern), Historia como sistema (1941, dt. Geschichte als System), Esquema de las crisis y otros ensayos (1942, dt. Das Wesen geschichtlicher Krisen).

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Madrid, Sacramental de Cementerio San Isidro

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Emmanuel Levinas

 

 

Französischer Philosoph litauischer Herkunft; Sohn eines Buchhändlers; studierte ab 1923 Philosophie an der Universität Straßburg und setze 1927 sein phänomenologisches Studium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau bei Edmund Husserl und Martin Heidegger fort, die er beide später in Frankreich bekannt machte; so übersetzte Levinas zusammen mit Gabrielle Pfeiffer 1931 z.B. die Cartesianischen Meditationen von Husserl. 1930 promovierte Levinas mit der Dissertation zum Thema Théorie de l'intuition dans la phénoménologie d' Husserl (dt. Husserls Theorie der Anschauung). Im selben Jahr erhielt er die französische Staatsbürgerschaft.

 Von 1934 bis 1939 arbeitete er in Paris an einem Ausbildungsinstitut für jüdische Lehrer. 1940 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. 1942 wurde er in ein Arbeitskommando des Stalag XI B in Fallingbostel verlegt Seine während der Gefangenschaft verfaßten Carnets de Captivité sind 2009 als erster Band der Œuvres complètes erschienen. Als er 1945 erfuhr, dass seine Eltern und Brüder in Litauen der nationalsozialistischen Ausrottungspolitik zum Opfer gefallen waren, schwor er, nie wieder deutschen Boden zu betreten.

1946 wurde Levinas Direktor der École Normale Israélite Orientale in Paris, wo er Philosophie lehrte. 1961 habilitierte er sich mit einer Schrift über Totalität und Unendlichkeit. 1967 wurde er Professor in Nanterre, wo sich eine Zusammenarbeit mit dem französischen Philosophen Paul Ricœur entwickelte. 1970 erhielt Levinas den Ehrendoktor der Loyola University Chicago. Von 1973 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1976 lehrte er an der Pariser Sorbonne. Ebenfalls 1973 erhielt er einen weiteren Ehrendoktor von der Katholieke Universiteit Leuven. 1985 erhielt er den 7. Premio Internazionale Federico Nietzsche der italienischen Nietzsche-Gesellschaft zusammen mit Domenico Corradini und Emanuele Severino. 1989 erhielt er den Balzan-Preis für Philosophie. 1991 wurde er in die Academia Europaea gewählt

Ausgehend von Husserl, Heidegger und der jüdischen Tradition gründet Levinas seine Philosophie auf die Ethik. Der klassisch-philosophischen Kategorisierung des Seins stellt er die Nichtkategorisierbarkeit und Nichtberechenbarkeit des Menschen, des schlechthin “Anderen”, entgegen, der zur Verantwortung ihm gegenüber aufruft; er schrieb u.a. Totalität und Unendlichkeit (1961), Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht (1974), Die Zeit und der Andere (1983).

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Bilder: Herbert Herterich (03/2015)

Pantin, Cimetière parisien de Pantin

Philosophen XI

Omnibus salutem!